
„Die Folgen der gesellschaftlichen Krisen überlagern sich heute in vielen Wohnquartieren wie in einem Brennglas“, so Professor Dr. Torsten Bölting, Geschäftsführer InWIS Forschung & Beratung GmbH, im Rahmen des 40. Erfahrungsaustausch Sozialarbeit des VdW südwest.
Dies hat spürbare Folgen für das nachbarschaftliche Zusammenleben. Bereits vor über zwei Jahrzehnten wies die GdW-Studie „Überforderten Nachbarschaften“ zum ersten Mal auf tief verankerte soziale Probleme in großstädtischen Quartieren hin. Damals hatte man noch die Hoffnung, dass sich diese mit unterstützenden Maßnahmen größtenteils selbst regulieren.
Die aktuelle InWIS-Studie zeigt jedoch, dass sich diese Hoffnung nicht nur als trügerisch erwies, sondern die Herausforderungen sogar noch vielschichtiger geworden sind, sich verfestigt haben: Überalterung, Wohnungs- und Bildungsmangel und Migrationsdruck schüren eine durch Pandemie und Preissteigerungen allgemeine Verunsicherung in einer „erschöpften Gesellschaft“. Wenn Menschen sich zurückziehen und Engagement schwindet, verlieren Quartiere jene Funktion, die sie eigentlich ausmacht: Orte des Zusammenhalts und der Teilhabe zu sein. Besonders Kinder und ältere Menschen sind auf ihr unmittelbares Wohnumfeld angewiesen – doch belastete Quartiere werden schnell zu belastenden Lebenswelten. Gleichzeitig stehen Kommunen und Wohnungsunternehmen unter wachsendem Handlungsdruck: Sie sollen Inklusion, Sicherheit, bezahlbares Wohnen und soziale Infrastruktur gewährleisten – bei immer knapperen Ressourcen.
Wie kann man dem entgegenwirken? Die Forschung zeigt Möglichkeiten aus der Überforderung: Quartiere bieten großes Potenzial für gesellschaftliche Innovation. Wohnungsunternehmen, soziale Träger und die Bewohnerschaft können und müssen gemeinsam Lösungen finden. Es braucht niedrigschwellige Angebote, so das Fazit von Bölting, um Menschen dort abholen, wo sie sind – im Alltag, im öffentlichen Raum, in ihren Lebenswelten.
Nach der Theorie folgte die Praxis: Die Sitzungsteilnehmer besuchten ein aktuelles Projekt des Volks- Bau und Sparverein Frankfurt am Main (VBS): Das mobile Atelier „Fliegendes Künstler:innenzimmer im Quartier“ (FlieKü) hat seit Oktober 2025 auf dem Gelände des VBS im Frankfurter Stadtteil Ginnheim für die nächsten zwei Jahre eine Heimat gefunden.
Der VBS als Gastgeber übernimmt hier durch aktives Quartiersmanagement eine soziale Rolle über das reine Wohnangebot hinaus. Im Atelier finden Kinder, Jugendliche und Erwachsene einen ungezwungenen Ort, um zu malen, bauen, tanzen oder Musik zu machen – frei von Leistungsdruck. Diese kreativen Begegnungsräume wirken als Verstärker, um die Bewohner anzuregen, ihren Stadtteil mitzugestalten, neue Kontakte zu knüpfen und Teil eines lebendigen Wohnumfeldes zu werden.
Dem VBS entstehen für Aufbau und Betrieb des Flieküs zwar keine Kosten, dennoch war eine intensive Projektvorbereitung seitens der Genossenschaft notwendig. Neben den technischen Versorgungsleistungen musste vor allem gegen die Vorbehalte aus der Nachbarschaft angekämpft werden. Als erster Schritt sollte bereits im Juni ein Sommerfest die Neugier der Bewohner wecken, die Eröffnungsfeier im Herbst war ein weiterer Baustein zur Akzeptanz. Möglich wurde dies durch die Kooperation von VBS, Quartiersmanagement Ginnheim, der Künstlergruppe Mobile Albania, der Crespo Stiftung und der Frankfurter Fachhochschule UAS. Alles in allem ein gelungenes Beispiel für den in der InWIS-Studie geforderten Kooperationsansatz zur Stabilisierung von Quartieren.
